Volker von Prittwitz

 

Die dunkle Seite der Netzwerke

Strategien gegen Vermachtung und Korruption

 

Hierarchie und Markt wird in der neueren Governanceanalyse das Netzwerk-Konzept als empirisch zunehmend bedeutsam und normativ perspektivreich gegenübergestellt: Informale Netzwerke fördern demnach unter den Beteiligten vertrauensvolle Zusammenarbeit und schnellen, ungehinderten Informationsfluss (Marin/Mayntz (Hrsg.) 1991; Fukujama 1999). Vernetzte Akteure teilen, etwa in Verhandlungen, Güter untereinander optimal auf, ein Potenzial der Wohlfahrtssteigerung (Scharpf 1993, 2000). In Netzen von Regulierern und Regulierten lassen sich Beschlüsse effizienter umsetzen (Benz 1994), und selbst innovative Prozesse, etwa der ökologischen Modernisierung, werden in vernetzten Strukturen besonders häufig festgestellt (Jänicke/Kunig/Stitzel 1999). Mit der Zuschreibung derartiger Funktionen hat sich geradezu eine sozialwissenschaftliche Netzwerkeuphorie entwickelt: Netzwerke erscheinen nicht nur als allgegenwärtige Form sozialer, ökonomischer und politischer Organisation (Jansen/Schubert (Hrsg.) 1993; Kappelhoff 2000), sondern auch als grundsätzlich überlegenes Governancemuster (Kenis/Schneider  (Hrsg.)1996; Dose/Voigt 1996; Döhler 1990; Döhler/Manow 1995; Hild 1997; Kohler-Koch 1998; Strulik 2000; Castells 2000).

Von dieser Netzwerkeuphorie der Sozialwissenschaft hebt sich die herrschende Einstellung zu politischen Netzwerken in der Öffentlichkeit deutlich ab. Eine überwiegend positive Konnotation des Wortes Netzwerk entstand hier nie. Im Gegenteil: Zeitungs-, Rundfunk-, Fernseh- und Internetjournalisten sowie öffentliche Kritiker des Parteien- und Verbändestaats zeigen immer wieder schwerwiegende Fehlentwicklungen im Zeichen vernetzter Macht auf, sei es im Sprachspiel des Skandals (Rüstungsskandale, Bauskandale, Parteienskandale), der Krise (Krise des Gesundheitssektors, BSE-Krise), der Korruption, des Filzes, der Mauschelei oder des Klüngels.

Die in der Öffentlichkeit im Vordergrund stehende dunkle Seite der Netzwerke sollte aber auch netzwerktheoretisch erfasst werden. Anregungen dazu lassen sich nicht nur aus der öffentlichen Diskussion gewinnen, sondern auch aus wissenschaftlichen Diskursen, so - quasi gegen den Strich lesend - aus der euphemistischen Netzwerk- und Verhandlungsdiskussion, aus der neueren Kritik des Parteienstaats und den Argumenten für direkte Demokratie (Arnim 1993, 1997, 2000; Heußner/Jung (Hrsg.) 1999), aus der insbesondere in der Neuen Politischen Ökonomie und der Staatsrechtslehre üblichen Unterscheidung unterschiedlicher Entscheidungsebenen nach dem Muster von Spielregeln und Spiel (Morlok 1999), aus Analyseansätzen der Korruption (Alemann/Kleinfeld 1992; Liebl 1992; Wewer 1992; Seibel 1992) sowie aus Abhandlungen spezieller  Korruptionsphänomene, insbesondere in der öffentlichen Verwaltung (Spannowsky 1994; Meyer 1995; Becker 1998). Mit den folgenden Überlegungen möchte ich dazu beitragen, dass Vermachtung und Korruption nicht länger als Spezialphänomene abgetan, sondern in einen systematischen Zusammenhang mit der Logik und Herrschaft informeller Netzwerke gebracht werden. Ausgangspunkt sind Überlegungen zu den Typen und den Operationsweisen von Netzwerken.

 

1. Typen und Operationsweisen von Netzwerken

Das grundlegende Verständnis sozialer, dabei politischer Netzwerke lässt sich mit zwei Basissätzen umreißen: In Netzwerken ist jeder der Beteiligten mit jedem anderen Beteiligten verbunden. Alle Beteiligte sind grundsätzlich in der Lage, eigenständig zu handeln.[1] Netzwerke in diesem Sinne allseitiger Verbindungsstrukturen zwischen Akteuren können nach unterschiedlichen Kriterien analysiert und typologisiert werden. So ergeben sich nach dem Kriterium der Offenheit geschlossene und offene Netzwerke, nach dem Einflusskriterium durchgehend horizontal und teilweise vertikal strukturierte Netzwerke, nach dem Kriterium der Formalität informelle und formelle Netzwerke, nach dem Konformitätskriterium Netzwerke konformer und Netzwerke pluraler Handlungsorientierung, nach dem Dauerhaftigkeitskriterium dauerhafte und weniger dauerhafte Netzwerke und nach dem Kriterium der Kollektivität Netzwerke mit und Netzwerke ohne kollektiven Akteurscharakter.

Offensichtlich ergibt sich schon durch unterschiedliche Kombinationen dieser Kriterienausprägungen eine Fülle unterschiedlicher Netzwerkformen. Beispielsweise lassen sich Policynetzwerke, seit Jahrzehnten Gegenstand der Netzwerkforschung (Marin/Mayntz  (Hrsg.)1991; Windhoff-Héritier 1987) und inzwischen insbesondere unter der Rahmenbezeichnung Global Governance Untersuchungsthema (Reinicke 2000; Witte/Reinicke/Benner 2000; Brand 2000), als handlungsorientiert, abgegrenzt, informell und in ihrer Zusammensetzung flexibel einordnen. Städtenetzwerke (Kern 2001) stellen sich demgegenüber als stärker formalisiert, weitgehend offen, auf Dauer angelegt und mehr oder weniger handlungsorientiert dar.

In Feldern, in denen Aspekte der kollektiven Willensbildung eine Rolle spielen, stellt sich allerdings ein bestimmter Netzwerktypus immer wieder als fundamental heraus. Dies sind weitgehend geschlossene, dauerhafte, informell strukturierte und informell operierende Netzwerke, die in hohem Maße kollektive Handlungsfähigkeit und Macht vermitteln. Informelle Akteursnetzwerke dieser Art haben im Hinblick auf Vermachtung und Korruption, den hier zu behandelnden Gegenstand, überragende Bedeutung. Durch ihr genaueres Verständnis werden aber auch bestimmte Strukturen und Operationsweisen deutlicher, die soziale und politische Netzwerke im allgemeinen charakterisieren. Sie stehen daher als Idealtypus soziopolitischer Netzwerke im Mittelpunkt der folgenden Überlegungen.[2]

Netzwerke in diesem Sinn funktionieren zunächst nach der Grundregel, dass Netzmitglieder im Entscheidungsfall gegenüber Netzaußenseitern strikt präferiert werden. Diese strikte Präferenz reduziert die wahrgenommene Komplexität in Auswahlfragen auf die einfache Beziehungsrelation Netzmitglied oder Netzaußenseiter. Netzwerke erleichtern damit Auswahlprozesse und geben den Beteiligten Verhaltenssicherheit. Sachprobleme können nach diesem Muster allerdings nur angemessen bewältigt werden, wenn sich innerhalb des Netzwerks entsprechender Sachverstand befindet. Fehlt dieser, geraten netzwerkdominierte Systeme in Managementprobleme, die sie häufig durch Nichthandeln (Aussitzen) oder Scheinhandeln, beispielsweise die demonstrative Gründung eines netzwerkdominierten Ausschusses, zu bewältigen suchen.

Innerhalb von Netzwerken werden strittige Entscheidungen im allgemeinen auf Grundlage der jeweiligen Tauschpotenziale der Beteiligten ausgehandelt, so Geld, Stellen, Organisations- und Regelmacht, Beziehungs-, Prozess- oder Sachwissen: Wer großes Tauschpotenzial hat, verfügt über die besten Chancen der Durchsetzung. Damit sind institutionalisierte Akteure, die über öffentlich anerkannte und garantierte Tauschpotenziale, insbesondere Handlungsmacht, verfügen, grundsätzlich bevorzugt. Da Tauschpotenziale aber in der jeweiligen Entscheidungssituation optimal aktiviert werden müssen, sind auch Organisationskapazitäten von Gewicht, mit denen Tauschpotenziale situativ aktiviert werden. Schließlich können Tauschpotenziale optimal gepflegt und - etwa durch Sekundärtausch - vergößert werden, umgekehrt aber auch durch Inaktivität oder Nachlässigkeit schwinden. Netzwerkdominierte Systeme sind daher durch große Betriebsamkeit insbesondere einflussreicher und aufstiegsorientierter Beteiligter mit dem Ziel geprägt, netzbezogene Tauschressourcen zu reproduzieren, zu vergrößern und zu kumulieren. Wo immer Akteursnetzwerke an Einfluss gewinnen, wandelt sich demnach die herrschende Systemlogik in Richtung einer Beziehungs- und Tauschlogik.

Der Ausgleichs- und Entwicklungsmechanismus des Tausches in Netzwerken reicht allerdings,  anders als in offenen Marktstrukturen, nur bis zu den jeweiligen Netzwerkgrenzen. Soll ein neuer Akteur in den Tausch einbezogen werden, muss dieser zur Beteiligung am Netzwerk bereit sein, aber auch von den anderen Netzwerkmitgliedern als Mitglied akzeptiert werden. Der Tauschmechanismus ist also der Sicherung der Gruppenidentität von Netzwerken respektive deren längerfristiger Reproduktion untergeordnet. Idealtypische Akteursnetzwerke zeichnen sich demzufolge in der Regel durch beträchtliche Dauerhaftigkeit aus und entfalten ihre Stärken über unterschiedliche Kontextsituationen hinweg. Umgekehrt können sie sich am besten entfalten, wenn die  Rahmenbedingungen ihrer Existenz längerfristig gesichert sind, beispielsweise auf der Grundlage institutionalisierter Privilegien ihrer Mitglieder.

Ebenfalls im Sinne dieser längerfristigen Reproduktion ist der Umstand zu sehen, dass Akteursnetzwerke nicht nur Handlungs- und Tauschsphären, sondern auch soziale Räume bilden und zudem häufig in sozialen Lebenswelten verankert sind. Vernetzt sind in Akteursnetzwerken also nicht nur Akteure, sondern auch Lebenswelten und kollektive Handlungsspäre. Dementsprechend gibt es kaum rein politische Netzwerke. Typisch für politikrelevante Akteursnetzwerke ist vielmehr gerade, dass sich in ihnen soziale und politische Abläufe verbinden. Hieraus wiederum folgt, dass idealtypische Netzwerke mit Politikbezug nicht laufend kollektives Außenhandeln produzieren. Netzwerke können  vielmehr über längere Zeit hinweg schwerpunktmäßig innere Willensbildung oder ihre Eigenreproduktion betreiben und gegebenenfalls längere Zeit vollkommen ruhen. Dennoch und manchmal gerade dadurch verfügen sie über beträchtliche kollektive Handlungspotenziale.

Ihrer sozialen Einbettung zum Trotz sind dauerhafte Akteursnetzwerke primär durch die Eigeninteressen der Beteiligten bestimmt: Wer an kollektiven Willensbildungsprozessen teilnimmt, verfolgt üblicherweise nicht nur zu repräsentierende Interessen, sondern auch eigene Akteursinteressen.[3] Beispielsweise agieren Partei- und Verbandspolitiker nicht zuletzt mit dem Interesse, ihre Wahlchancen und ihre Machtposition auszubauen. Informelle Akteursnetzwerke, die ja öffentlich nicht kontrolliert oder auch nur eingesehen werden können, erlauben den Beteiligten besonders gut, ihre Akteursinteressen zu verfolgen, Machtpositionen zu errichten und zu verstärken. Deshalb bilden sich solche Netzwerke in aller Regel, sowie einzelne Akteure wiederholt an kollektiven Willensbildungsprozessen teilnehmen.

 

2. Prekäre Wirkungspotenziale von Netzwerken

Durch die allseitige Verbindung ihrer Mitglieder haben Netzwerke hervorragende innere Kommunikationsvoraussetzungen: Netzinterne Kommunikationsprozesse können sich damit rasch und mit großem Effekt vollziehen. Anders als im massenpsychologischen Kommunikationsprozess bleibt dabei der einzelne souveräne Akteur eine Korrekturinstanz von Gerüchten, und bei der Vielzahl handlungssouveräner Akteure besteht eine gute Chance dafür, dass die Reichhaltigkeit unterschiedlicher Problem- oder Lösungsgesichtspunkte berücksichtigt wird. Die für Netzwerke typischen informellen Vorgehensweisen erleichtern zudem rasches situationsgerechtes Kommunizieren und Handeln.

Diese grundsätzlichen Vorteile von Netzwerkstrukturen vergrößern sich noch im Umfeld kommunikationsschwacher, starr formalisierter Strukturen: Sind beispielsweise zwei Bereiche, etwa Recht und Politik, durch formelle Barrieren voneinander getrennt, so können Mitglieder eines Netzwerks, das beide Bereiche informell miteinander verbindet, für sich überproportional großen Nutzen hieraus ziehen: In einem solchen Netzwerk fließen nämlich nicht nur für die Beteiligten wertvolle Informationen über Interdependenzen beider Bereiche; es ergeben sich damit auch Möglichkeiten zur praktischen Beeinflusssung beider Bereiche, über die unvernetzte Akteure nicht verfügen. Bereichsgrenzen durchdringende Steuerungsmacht dieser Art können die Netzwerkmitglieder wiederum vorteilhaft im Sinne ihrer individuellen Karriere- und Einkommensziele nutzen.

Netzwerkgestützte Informations-, Macht- und Einkommensvorteile bedeuten allerdings gleichzeitig relativ verschlechterten Informationszugang, Einflussverlust und Einkommensnachteile für aktuelle oder potentielle Konkurrenten außerhalb des Netzwerks. Vor allem aber unterlaufen sie allgemeine Verfahren, die auf der strikten Trennung bestimmter Bereiche basieren. Dass die Leistungsfähigkeit von Verfahren entscheidend davon abhängt, ob es gelingt, institutionell gesetzte Trennungen zu etablieren und zu sichern, ist in verschiedenen Zusammenhängen bereits thematisiert worden.[4] Für die Netzwerkdiskussion ist diese Problematik aber besonders prekär, da sich Vernetzung und institutionelle Trennung grundsätzlich diametral entgegenstehen.

Der Zusammenhang, um den es geht, lässt sich zunächst anhand eines allseits vertrauten technischen Vorganges veranschaulichen: Elektrischer Strom kann nur dann fließen, wenn strom- und spannungsführende Teile eines Stromkreislaufs strikt voneinander getrennt gehalten werden. Verbinden sie sich dagegen auch nur kurz, so kommt es zum bekannten Phänomen des Kurzschlusses: Eine bislang hell brennende Birne hört schlagartig auf zu brennen oder zerplatzt, der Stromkreislauf wird durch die aus ihren Halterungen gedrückten (herausfliegenden) Sicherungen augenblicklich unterbrochen und kann erst dann wieder geschlossen werden, wenn der Kurzschluss behoben ist.

Auch in sozialen Systemen gibt es funktionale Trennungsanforderungen, insbesondere Trennungsanforderungen zwischen der operativen Ebene und der Regelebene kollektiver Verfahren: Nur wenn Gerichtsverfahren, Wahlverfahren oder Wettbewerbe im Rahmen vorgegebener, durch einzelne Beteiligte nicht willkürlich veränder- und interpretierbarer Regeln stattfinden, können sie ihre Leistungspotenziale, so gleiche Beteiligungschancen, Zukunftsoffenheit, Leistungsmotivation und allgemeine Akzeptanz, entfalten. Sind Verfahrensregeln gegen Interventionen einzelner Verfahrensteilnehmer nicht strikt geschützt so sinkt dagegen die Leistungsfähigkeit des betroffenen Verfahrens stark ab; Leistungsmotivation, institutionelle Akzeptanz und soziales Vertrauen der unmittelbar und mittelbar Beteiligten verringern sich. Denn diejenigen, die die Regeln willkürlichen bestimmen und auslegen können, entziehen sich damit Leistungsanforderungen und Verhaltensbindungen. Die Teilnehmer ohne Regelmacht dagegen fühlen sich unfair behandelt, sind nicht mehr leistungsmotiviert und trauen weder dem Verfahren noch den anderen Verfahrensbeteiligten.

Eine besondere Form des institutionellen Kurzschlusses bildet die Korruption. Hierbei kaufen Verfahrensteilnehmer von Verfahrensreglern illegitime Verfahrensvorteile oder bestimmte Regelentscheidungen. Dieser illegitime Kauf kann mit dem Tauschmittel Geld, aber auch mit Naturalien, beispielsweise Flügen, Urlaub, Rotlichtbestrahlung, Beförderungen, Stellenvergabe oder illegitimer Entscheidungskoppelung, getätigt werden.[5] Geschieht er in Kenntnis der Illegalität eines Vorteilkaufs respektive einer Vorteilsannahme, stellt er einen kriminellen Normbruch dar. Sind verbindliche Verfahren dagegen nur schwach entwickelt oder gelten sie durch verbreiteten Normbruch in der Praxis nur mehr in geringem Grade, so werden Vorteilskauf und Vorteilsannahme zumindest von den Beteiligten verbreitet als lässige Sünde, als nicht belangbare Normalität oder gar als verteidigungsfähiger Besitzstand betrachtet. Eine derartige Sozialkultur des Tausches zwischen Akteuren der operativen Ebene und der Regelebene führt zum dauerhaften institutionellen Kurzschluss. Sie schafft zwar für die unmittelbar beteiligten Akteure lokale Optima, dies aber auf Kosten der Allgemeinheit (globaler Optima). Regelungsanforderungen im Sinne von Verfahren, die die Allgemeinheit, dabei gerade auch Minderheitsbedürfnisse und Bedürfnisse einflussschwacher Mehrheiten, schützen, werden strukturell unterlaufen. Grundlegende Erfordernisse einer modernen Gesellschaft, so Zukunftsoffenheit von Entscheidungen, Leistungsmotivation, daraus entspringende Leistungsfähigkeit sowie institutionell gestütztes soziales Vertrauen, werden verfehlt.[6]

Die skizzierte Tauschlogik der Netzwerke korrespondiert mit der Logik der Korruption insofern, als unterschiedliche Bereiche miteinander verbunden und in ihren Produkten tauschfähig gemacht werden. Nach der internen Netzwerklogik erscheint Korruption lediglich als Tausch. Für Akteure, die zu Bestechung oder Vorteilsannahme bereit sind, bilden Netzwerke umgekehrt eine Art Einbettung. Im besonderen gilt dies für relativ geschlossene, informelle, relativ dauerhafte Netzwerke, wie sie hier als Idealtypus gefasst worden sind. Diese nämlich können von der Öffentlichkeit abgeschottete eigenständige Netzwerkwelten schaffen, in denen Korruption als regulärer Tausch ohne jedes Problem gehandhabt wird.

Mächtige Akteursnetzwerke verfehlen schließlich Grundanforderungen der Demokratie, in der das Wohl der Allgemeinheit im Mittelpunkt stehen, die Wahl und Rückbindung der Regierung durch das Volk und die reguläre Beteiligungsmöglichkeit des Volkes an der Willensbildung gesichert sein soll. Akteursnetzwerke konterkarieren nämlich nur zu oft sozial rationale Problemlösungen; sie bieten als informell und verdeckt operierende Einheiten kaum Möglichkeiten zur öffentlichen Kontrolle und Entscheidungslegitimation oder breite Beteiligungschancen. Soweit ihr Wirken für die Öffentlichkeit erkennbar wird, senkt es oft sogar Akzeptanz und Motivation im Sinne vitaler Demokratie.

Zusammenfassend stellen sich informelle Akteursnetzwerke unter Gerechtigkeits-, Leistungs- und Demokratiegesichtspunkten als prekär dar. Sie sind zwar für die unmittelbar Beteiligten mit Vorteilen verbunden, tendieren aber zur Ausbeutung der Allgemeinheit, verkehren regelgebundene Leistungslogik in machtorientierte Tauschlogik und konterkarieren vitale Demokratie eher als diese zu fördern.

 

3. Fälle

Der empirische Beleg der entwickelten Netzwerkkritik wird dadurch erschwert, dass gerade herrschende, wirkungsstarke Netzwerke häufig in der Lage sind, prekäre Daten geheim zu halten, zumindest aber eine öffentliche Diskussion ihrer Strukturen, Operationsweisen und Handlungswirkungen zu unterbinden. Dennoch haben investigativ arbeitende Journalisten, Prüfinstitutionen, Wissenschaftler und öffentliche Kritiker zahlreiche Nachweise netzwerkgestützter Vermachtung und Korruption zu Tage gefördert. Mächtige Netzwerke bestehen insbesondere in Wirtschaftssektoren, die stark von öffentlichen Aufträgen abhängen, so im Rüstungsbereich, im Baubereich, im Gesundheitsbereich, in der Landwirtschaft oder im Forschungs- und Wissenschaftsbereich.[7] Im Bau- und im Gesundheitssektor sind in den letzten Jahren geradezu regulär Netzwerksstrukturen festgestellt worden, die den hier getroffenen allgemeinen Aussagen entsprechen.[8] Darüberhinaus existieren aber auch prekäre sektorübergreifende Netzwerke. Ein besonders einflussreiche Form davon sind Strukturen, die unter dem Stichwort Parteienstaat diskutiert werden.

Im folgenden illustriere ich die dunkle Seite der Netzwerke anhand von zwei sektoriellen Netzwerken, des agroindustriellen Komplexes im Fall BSE und der akademischen Netzwerke unter besonderer Berücksichtigung der Politikwissenschaft. Im Anschluss greife ich Analyseergebnisse zum Parteienstaat zur Illustration sektorübergreifendee Netzwerke auf.

 

3.1 Der agroindustrielle Komplex im Fall BSE

Viele der in der EU produzierten landwirtschaftlichen Produkte, etwa Getreide oder Fleisch, wären ohne massive Subventionen international nicht wettbewerbsfähig. Entgegen den proklamierten GATT-Normen eines freien Welthandels und den Willensbekundungen, Importbeschränkungen gerade für Produkte aus Entwicklungsländern abbauen zu wollen, betreibt die Europäische Union daher traditionell eine Landwirtschaftspolitik der hohen Zoll- und Subventionsmauern.[9] Aber auch innerhalb der EU wird Landwirtschaft in einem engmaschigen System staatlicher Preis-, Qualitäts- und Prozessvorgaben administriert, die ihrerseits in einem politischen Ringen zwischen den beteiligten Interessengruppen und Nationalstaaten zustande kommen.[10] Unter diesen Bedingungen sind landwirtschaftspolitische Netzwerke von überragender Bedeutung. Das wichtigste Netzwerk dieser Art ist der sogenannte agraoindustrielle Komplex, der auf die Förderung agrarindustrieller Betriebe abzielt und sich aus Agrarindustrie samt Futtermittelindustrie, Teilen der Bauernschaft, der Agrarbürokratie und der Agrarpolitik zusammensetzt.

Die Entstehung und Ausbreitung von BSE in England und anderen EU-Ländern seit dem Beginn der achtziger Jahre ist nur angesichts des Einflusses dieses Komplexes zu verstehen.[11] So wurde unter der Direktive des englischen Landwirtschaftsministeriums, eines Zentrums dieses Netzwerks, seit 1974 das Fleisch der durch die Traberkrankheit (Scrapie) befallenen und getöteten Schafe zu Tiermehl verarbeitet und systematisch an Rinder verfüttert, ein lebensmitteltechnisch hochgradig risikoreiches Vorgehen, da dieses Fleisch nach wie vor prionenhaltig war.[12] Auf Drängen des Europäischen Verbands der Mischfutterindustrie gab es von 1978 an keine klare Kennzeichnung bei Tierfutter mehr. Nur noch allgemeine Kategorien zu den Inhaltsstoffen waren aufgeführt. Der Gehalt an bestimmten Inhaltsstoffen, beispielsweise an Tiermehlen, musste dagegen nicht mehr angegeben werden, so dass einfache Bauern keine Kontrollmöglichkeit mehr über die Zusammensetzung von Mischfutter und Kraftfutter hatten.[13] Ab 1981 wurde die Form der Tiermehlproduktion in England den produzenten völlig selbst überlassen und dementsprechend, soweit heute erkennbar, in höchst riskanter Form vereinfacht.[14]

Mitglieder des agroindustriellen  Komplexes, so Beamte des britischen Landwirtschaftsministeriums, später auch anderer nationaler Landwirtschaftsbehörden, so in Deutschland, und von England unterwanderten EU-Generaldirektion mit Bezug zur BSE-Problematik (Landwirtschaft, Verbraucherschutz) unterdrückten Information über gesundheitliche Recycling-Risiken und BSE-Krankheitsfunde sowie entsprechende, beantragte medizinische Forschungsprojekte. Dies geschah teilweise mit mafiosen Praktiken.[15] In Folge dessen konnten bereits problembewusste Experten nicht aktiv werden und eine öffentliche Wahrnehmung wurde verschleppt. Selbst als das gesundheitliche Risikopotenzial der Problematik im Grundsatz bekannt geworden war, wurden notwendige Regelungen zur Bekämpfung von BSE  Jahre unterbunden oder durch opportunistische Vermarktungspolitik ersetzt.

Aufgrund dieser Vorgehensweisen und Strukturen kam ein energisches zielbewusstes Management der BSE-Risikoproblematik rund zwei Jahrzehnte lang nicht zustande; im Gegenteil: Die Entstehung und Ausbreitung von BSE wurde geradezu gefördert. Bereits bis Ende 2000 waren über 180.000 Rinder in Großbritannien und Hunderte von Rindern in anderen Ländern an der tödlichen Krankheit als erkrankt gemeldet. An der neuen, noch wenig erforschten Variante der Creutzfeld-Jacob-Krankheit, die seit 1995 vor allem in England festgestellt und auf den Einfluss von BSE zurückgeführt wird, starben bis  Mai 2001  88 Menschen. Wie viele Tote sie noch fordern wird, ist bei einer angenommenen Latenzzeit zwischen fünf und 35 Jahren, noch schwer vorauszuschätzen. Bei der viele Jahre langen Verseuchung von Rindfleisch ist aber zumindest in Großbritannien ein gesundheitliches Desaster von großem Umfang nicht ausgeschlossen. Zu diesen gesundheitlichen Folgen kommen ökonomische: Mit der wachsenden Zahl öffentlich bekannt werdender BSE-Fälle und erkannter gesundheitlicher Risiken des Menschen verringerte sich ab Ende 2000 das Konsumentenvertrauen in Rindfleisch in Deutschland und anderen risikobewussten EU-Ländern drastisch und die Nachfrage nach Rindfleisch brach weitgehend zusammen. Zahlreiche Bauernhöfe,  Schlachthöfe und andere Betriebe der Rindfleischproduktion gerieten in eine Krise. Der Aufkauf und die Tötung  von 400.000 Rindern in Deutschland wegen der BSE-Krise verursachte nach Schätzungen Gesamtkosten von 647 Millionen Mark. Davon übernahm der Bund 362 Millionen, die restlichen Kosten trug die EU, die ca. 1,7 Millionen Rinder mit Ausgleichzahlung für die Bauern töten ließ, eine zusätzliche Belastung des EU-Haushalts in Höhe von 700 Millionen Euro. Insgesamt werden die Kosten in Deutschland auf 2,1 Milliarden Mark geschätzt.[16]

Im BSE-Fall zeigt ich beispielhaft, wie sektoriell vernetzte Macht in ein gesundheitspolitisches und ökonomisches Desaster führt.

 

3.2 Akademische Netzwerke

Anders als der agroindustrielle Komplex im BSE-Fall gilt die Grundstruktur der universitär-akademischen Sphäre, so wie sich sich über Jahrhunderte in Kontinentaleuropa entwickelt hat, im allgemeinen als legitim.[17] Und nicht nur konservative Hochschulverbände, so der Deutsche Hochschulverband, betrachten sie anderen Organisationsformen von Wissenschaft nach wie vor als überlegen.[18] Bestimmend für diese Struktur ist die Stellung der Universitäten zwischen Staat und Selbstorganisation. Demnach werden die Hochschullehrer durch staatliche Organe offiziell berufen und üblicherweise verbeamtet, Gebäude, Personal und Betrieb von Hochschulen aus Steuergeldern finanziert. So privilegiert und aus allgemeinen Mitteln finanziert organisieren sich wissenschaftliche Gemeinschaften mit dem Anspruch der Selbstbestimmung, der Wissenschafts-Autonomie. Demnach entscheidet die Gemeinschaft der Professoren einer Universität - in Abstimmung mit der bestehenden Gebietskörperschaft - darüber, wer neu an die Universität berufen (Kooptation), wie die vom Staat zur Verfügung gestellten Mittel verteilt und wie Lehre und Forschung organisiert werden sollen. Auch in der universitätsübergreifenden akademischen Forschungsförderung entscheiden dem Prinzip nach Hochschullehrer durch wissenschaftliche Gutachten.

Unter diesen Rahmenbedingungen kann Forschung und Lehre zwar in unterschiedlichen Formen organisiert werden. Akademische Organisationsmodelle und Ablaufmuster werden nämlich auch durch intervenierende Faktoren beeinflusst, beispielsweise durch wissenschaftstheoretische und ethische Überlegungen, allgemeine rechtliche Normen und Formen des Organisationslernens im interregionalen und internationalen Wissenschaftsvergleich. Davon abgesehen stellt sich die akademische Selbstorganisation auf der Grundlage staatlicher Finanzierung aber als eine geradezu paradigmatische Voraussetzung für Verhandlungsprozesse, Koppelgeschäfte und netzwerkgestützte Vermachtung dar. Hierbei werden nämlich operative Prozesse der Forschung und Lehre und wissenschaftliche Regelprozesse wie die Qualitätsbegutachtung, die Personalauswahl und die Mittelverteilung in einem abgeschlossenen Kreis privilegierter Akteure bestimmt, die in jeweiligen Entscheidungssphären, beispielsweise Institut oder Fachdisziplin, untereinander in allseitiger Verbindung stehen.

Ausgangspunkt dafür ist die im akademischen Bereich verbreitete Entscheidungsregel durch Mehrheit. Denn in einem eng geschlossenen Kreis souveräner Akteure kommt mehrheitliche Zustimmung, abgesehen von Überzeugungsprozessen, nur durch Anreize, also durch Tausch zustande. Netzwerke bilden aber nach dem Muster Ich stimme grundsätzlich für dich, weil ich erwarten kann, dass du grundsätzlich für mich stimmst quasi eine geronnene Struktur gegenseitiger positiver Tauschversprechen und sind daher grundlegend für die Mehrheitsbildung in abgegrenzten Gemeinschaften souveräner Akteure. Dementsprechend sind wissenschaftliche Gemeinschaften besonders stark durch Netzwerkbeziehungen beeinflusst, wobei wissenschaftsnahe Netzwerke, etwa um Untersuchungsansätze oder Subdisziplinen, aber auch wissenschaftsfernere Netzwerke, etwa Netze parteipolitischer Art, eine Rolle spielen können. Vernetzungsgrad und Macht korrespondieren dabei üblicherweise in hohem Grade. So werden beispielsweise Fachgutachter-Positionen bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft in aller Regel von hochgradig vernetzten Hochschullehrern besetzt, die vom Vorstand der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft (DVPW) vorgeschlagen und von einer Mehrheit von Verbandsmitgliedern gewählt worden sind. 

Derartige Vernetzungsphänomene erscheinen insofern als wenig problematisch, als hierbei wissenschaftsnahe Netzwerke miteinander konkurrieren: Vernetzung steht dann ja lediglich für pluralistische Gruppenbildung im Rahmen wissenschaftlicher Konkurrenz. Schon dabei kann sich wissenschaftliche Leistung allerdings nur im Rahmen einflussreicher Beziehungsnetzwerke verwerten. Anlage und Durchführung von Forschung haben sich also strikt an die in solchen Netzwerken geltenden Strukturen und Paradimata zu halten, was in der Tendenz dazu führt, dass autoritäre Netzwerkstrukturen mit ihren jeweiligen Netzwerkgurus befestigt und herrschende Paradigmata verstetigt werden.[19] Offensichtlich prekär wird akademische Netzwerkherrschaft aber, wenn Entscheidungen im akademischen Sektor nach unterschiedlichen, dabei auch wissenschaftsfernen Netzwerkbezügen fallen, inhaltliche und methodische Leistungskriterien also an Boden verlieren gegenüber wissenschaftsübergreifenden Beziehungs- und Tauschkriterien. Wissenschaftlicher Erfolg korrespondiert dann nicht mehr mit Entdeckungsfähigkeit, Kritikfähigkeit und analytischer Schärfe, sondern mit der Kumulation von Netzwerkbeziehungen, den Erfolgen sogenannter Netzwerkarbeit.[20]

Die Problematik spitzt sich dadurch zu, dass akademische Netzwerke angesichts der begrenzten Zahl von Mitgliedern und der weitgehenden lokalen Verfügungsmacht einzelner Netzwerkmitglieder oft den Charakter von Herrschaftsinstitutionen erlangen, die potentielle Konkurrenten vollkommen ausschließen können. So werden in der deutschen Politikwissenschaft Universitätsprofessuren in aller Regel nur für Bereiche vergeben, die den Grenzen der herrschenden wissenschaftlichen Subeinheiten, Theorie und Geschichte des politischen Denkens (1), politisches System der Bundesrepublik Deutschland (2), internationale und interregionale Komparatistik (3), Internationale Beziehungen und Außenpolitik (4) sowie Methodenfragen (5), entsprechen. Kandidaten, die in anderen Teilbereichen der Politikanalyse qualifiziert sind oder in verschiedenen der sogenannten Kernbereiche der Disziplin publiziert haben, gelten demgegenüber als Netzwerkexterne und haben damit verschwindend geringe akademische Berufschancen, eine Art Berufsverbot.

Dass es unter diesen Bedingungen kaum zu politikwissenschaftlichen Diskursen kommt und stattdessen subdisziplinäres Häuschendenken und beflissenes Ausmalen gängiger  wissenschaftlicher Paradigmata dominieren, verwundert nicht. Können sich selbst ausgewiesene Politikwissenschaftler kaum grundsätzlichere Kritik und alternative Denkansätze leisten, so gilt dies selbstredend noch  mehr für den sogenannten wissenschaftlichen Nachwuchs: Aspiranten auf eine politikwissenschafltiche Karriere haben ausschließlich dann eine Chance zum Erfolg, wenn sie sich netzwerkgerecht verhalten, also sich strikt an herrschenden Paradigmata orientieren und netzwerkorientierte Betriebsamkeit zeigen. Zu einer grundsätzlicheren Kritik erscheinen in diesem System nur Wissenschaftler in der Lage, die auf eine politikwissenschaftliche Netzwerk-Karriere bewusst verzichten oder aber äußerst risikobereit sind, - denkbar schlechte Voraussetzungen für einen innovativen Diskurs, in dem Entdeckungsfreude, analytische Innovation und Freude an der Leistung zählen.

 

3.3 Netzwerk Parteienstaat

Neben sektoralen Netzwerken existieren auch sektorübergreifende Netzwerke. Ein wirkungsmächtiges Netzwerk dieser Art wird unter dem Begriff Parteienstaat gefasst. Dieser von Otto Koellreuter 1926 eingeführte, aber von Gerhard Leibholz (1929, 1958) in positiver Konnotation geprägte Begriff markiert die Tatsache, dass Parteien in der repräsentativen Demokratie dominant geworden sind. Diese Dominanz bezieht sich, wie Kritiker des Parteienstaats (Hesse 1959; Hennis 1982, 1992; Arnim 1991, 1997, 2000) hervorheben, nicht nur auf Bereiche, in denen Parteien besondere Funktionen erfüllen, so auf Parteienwahlkampf, Regierungsbildung und parlamentarische Abstimmungsprozesse. Parteiendominiert sind im Parteienstaat vielmehr auch Entscheidungsbereiche, in denen der einfache Bürger bestimmen könnte, so die Auswahl politischer Wahlbewerber. Starken Einfluss haben die Parteien auf die öffentliche Verwaltung und öffentlich-rechtliche Bereiche wie Rundfunk und Fernsehen. Ja sogar Staatsanwaltschaften und Gerichte - siehe in Deutschland insbesondere das Bundesverfassungsgericht - unterliegen in erheblichem Maße dem Parteieneinfluss.

Die wachsende Parteiendominanz, die in Europa bisher allerdings noch in ungleichem Maße festzustellen ist[21], hat zunächst allgemeine strukturelle Gründe, so die Tendenz zur gesellschaftlichen Ausdifferenzierung des politischen Sektors: Im Zeichen wachsender gesamtgesellschaftlicher Arbeitsteilung spezialisiert sich auch die Beschäftigung mit Politik. Nicht mehr der einfache Bürger, sondern der - in einer Partei organisierte - Berufspolitiker ist der hauptsächliche politische Akteur. Bürger, die selbst vorrangig wirtschaftlich, sozial und privat (Familie, Erlebnis-, Spaßgesellschaft) tätig sind, lassen Politik in wachsendem Maß durch spezialisierte Handlungsträger, so Parteien und Verbände, machen. Ja selbst Bürgerprotest wird zunehmend durch spezialisierte, professionelle Protestorganisationen (Beispiel Greenpeace) betrieben. Ein anderer Grund für den gewachsenen Parteieneinfluss dürfte darin liegen, dass das Mehrheitsprinzip in modernen Gesellschaften an Bedeutung gewonnen hat. Denn in Flächendemokratien mit vielen Millionen Einwohnern werden, zumal bei wachsender Komplexität der Sachprobleme, Entscheidungen zunehmend nur im Schatten majoritärer Entscheidungspotenziale möglich. Damit aber ist es nicht verwunderlich, dass die Akteursorganisation, die politische Mehrheiten am ehesten sichern kann, politische Mehrheitsparteien, zur entscheidenden politischen Organisationsform wird. Die von Leibholz dargestellte Entwicklung von der individuellen Honoratiorendemokratie zur Parteiendemokratie entspricht insofern Bedingungen und Anforderungen der modernen Demokratie, weshalb parteienstaatliche Strukturen nach dominierender politikwissenschaftlicher Auffassung schlichtweg als normal gelten (Schütt-Wetschky 2001)..

Der heutige Parteienstaat birgt allerdings gravierende Gefahren in sich, so vor allem die des institutionelles Kurzschlusses: Parteien dringen in institutionell getrennte Bereiche, so neben der Legislative auch in die Exekutive und Judikative sowie staatsferne Bereiche ein und verbinden diese informell, wodurch die auf einer institutionellen Trennung beruhenden Funktionsanforderungen dieser Bereiche unterlaufen werden. Verhalten sich beispielsweise Staatsanwälte in einer Spendenaffaire nach den Weisungen des von Mehrheitsparteien besetzten Justizministeriums eines Landes, so wird die für einen Rechtsstaat fundamentale Sanktionsfähigkeit der Justiz gegenüber Parteien beschränkt oder geht ganz verloren. Dies wiederum unterhöhlt das Vertrauen der Bürger in die Integrität des staatlich-politischen Systems und hat negative öffentliche Leitbildwirkung. Ist die öffentliche Verwaltung Teil eines Parteiennetzwerks, so verschlechtert dies die Konkurrenzbedingungen für nicht einbezogene Parteien in illegitimer Weise. Denn eine durch bestimmte Parteien dominierte Verwaltung wird zu klientelistischen Umgangsformen mit anderen Angehörigen der betreffenden Parteien tendieren, diesen beispielsweise prekäre Informationen früher oder ausschließlich zukommen lassen, diese bei der Vergabe von Aufträgen favorisieren und ähnliches. Einer parteiklientelistischen Verwaltung liegt es auch nahe, für die eigene Partei staatlich finanzierte Werbeaktivitäten zu starten, diese zumindest aber still bei der Darstellung in offiziellen Programmen und Verlautbarungen zu favorisieren. Umgekehrt können Parteien eine öffentliche Verwaltung, die Teil eines informalen Netzwerks mit ihnen bildet, ihrerseits nicht mehr ohne weiteres kontrollieren. Denn netzwerkgestützte Beziehungsmacht ist gegenseitig, so dass illegitime Vorgehensweisen der Verwaltung bis hin zur Korruption nicht mehr ohne weiteres im Parlament thematisiert werden.

Vernetzen sich schließlich einzelne parteistaatliche Netze noch einmal untereinander, so ergibt sich ein informelles Netzwerk all derjenigen, die im Parteienstaat privilegierte Positionen einnehmen. Entsprechend dem allgemeinen Interesse politischer Akteure an der Stabilisierung und dem bestmöglichen Ausbau ihrer Position sind solche parteienübergreifenden Netzwerke darauf gerichtet, die institutionelle Privilegierung von Parlaments-, Regierungs- und höheren Verwaltungsangehörigen gegenüber der allgemeinen Bevölkerung zu erhalten und weitestmöglich auszubauen. Ansonsten konkurrierende Parteien verbünden sich dazu gegen die Öffentlichkeit mit dem Ziel, a) ihre staatliche Finanzierung möglichst vollständig durchzusetzen, b) Offenlegungspflichten der Parteienfinanzierung zu boykottieren, c) den Organisationstypus der politischen  Partei rechtlich zu einer staatlichen Institution zu erklären, d) die Tätigkeiten parteipolitisch orientierter Funktionsträger in Parlament und Regierung möglichst hoch zu dotieren, e) Pensionszahlungen an ehemalige Funktionsträger in Parlament und Regierung, perspektivisch sogar an Funktionsträger von politischen Parteien zu sichern und möglichst stark zu erhöhen.

Die Operationsmechanismen zur Durchsetzung dieser Netzwerkziele sind detailgenau dargestellt worden (Arnim 1997, 2000, 2001, Scheuch 1992). Im Mittelpunkt stehen dabei Mechanismen des institutionellen Kurzschlusses, insbesondere die Selbstermächtigung von Parlamenten oder Verwaltungen, sich ihre von der Allgemeinheit finanzierten Diäten und Pensionszahlungen selbst zu bestimmen. So haben parlamentarische Fraktionen im Bundestag und Landtagen der Bundesrepublik Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten mit zunehmender Abgebrühtheit ihnen offen stehende Möglichkeiten genutzt, um ihr eigenes Gehalt (Diäten) und vor allem die Pensionszahlungen an ehemalige Funktionsträger in Parlament und Regierung in eine Höhe zu bringen, die ein Vielfaches der Durchschnittsrenten beträgt und selbst höher als die von Spitzenverdiener in staatlichen Positionen liegt (Arnim 2001). Die entscheidende Machtgrundlage für diese Ausbeutung der Allgemeinheit durch ihre politisch-staatlichen Spitzenrepräsentanten bildet die Vernetzung von Parteien und Staatsbeamtentum. Dabei sichert die Institution des Berufsbeamtentums den Parteien in der öffentlichen Verwaltung und öffentlich-rechtlichen Bereichen eine dauerhafte Basis ihrer Macht, da auch parteiliche Berufsbeamten nicht abgewählt werden können und daher auf Dauer mit ihren Möglichkeiten zur Vakanz, ihrem Prozesswissen und ihrer Organisationsmacht ihrer Partei zuarbeiten können. Die gesicherte Stellung der Parteien als hauptsächliche Organisationsträger der politischen Willensbildung wiederum ermöglicht, das Berufsbeamtentum politisch abzusichern und seine ökonomische wie politische Stellung auszubauen, beispielsweise großzügige Bedingungen der Vakanz und des gesicherten Wiedereintritts ins Berufsleben oder großzügige Pensionsbedingungen für höhere Beamte zu beschließen.

Mit dieser Vernetzung entsteht eine sich selbst legitimierende, ökonomisch und politisch privilegierte Herrschaftsschicht, die in mehr oder weniger kritischer Konnotation als Politische Klasse bezeichnet wird (Arnim 1993, 1997, 2000; Beyme 1993; Rebenstorf 1995; Golsch 1998).[22] Die Bildung einer solchen Herrschaftsklasse als normalen Vorgang im Sinne der von Gaetano Mosca und Alfredo Pareto Ende des 19. Jahrhunderts entwickelten elitentheoretischen Vorstellungen zu betrachten, erscheint mir nicht angebracht.[23] Klassenbildung dieser Art steht nämlich in krassem Gegensatz zu dem Leitbild einer modernen, sozial mobilen Gesellschaft, in der Leistung Aufstiegschancen ohne Ansehen von Schicht oder Klassenzugehörigkeit verspricht. Etabliert sich die Vorstellung einer üblichen Klassenbildung dieser Art, so werden hiermit unter den Herrschenden Verhaltensmuster räuberischer Herrschaft legitimiert und erleichtert.[24] Unter denjenigen, die sich nicht mit der herrschenden Klasse identifizieren, verliert Politik andererseits jeden Gemeinwohlanspruch und erscheint als illegitime Sphäre, der mit Selbstverweigerung oder Widerstand zu begegnen ist. Was eintritt, ist also genau das Gegenteil eines produktiven Verhältnisses von Politik und Gesellschaft.

 

4. Strategien gegen Vermachtung und Korruption

Wer die dunkle Seite der Netzwerke zur Kenntnis nimmt und dennoch die Möglichkeit öffentlichen Steuerungshandelns nicht völlig ausschließt, stellt sich die Frage, wie mit informellen Akteurs-Netzwerken umgegangen werden soll. Die Antwort auf diese Frage dürfte vor allem durch die Beurteilung des Charakters jeweiliger Netzwerke und der kontextbezogenen Steuerungschancen angesichts des Wirkens von Netzwerken bestimmt sein:  Werden informelle Netzwerke, wie in der euphemistischen Netzwerkanalyse üblich, als förderlich oder harmlos betrachtet, so ergibt sich ein Optionenspektrum öffentlichen Handelns, das von dem gezielten Aufbau und der Unterstützung von Netzwerken durch öffentliche Organe über Indifferenz bis zur Forderung nach pluralistischen Rahmenbedingungen für Netzwerkhandeln reicht. Erscheinen Netzwerke im Sinne der Elitentheorie als Befestigungsmuster von Klassenherrschaft und wird das von Vilfredo Pareto stammende Modell einer Elitenzirkulation als realitätsnah betrachtet (Pareto 1975: 129f), so liegen strategische Folgerungen nahe, die je nach Standpunkt darauf abzielen, die Vernetzung der herrschenden Elite beziehungsweise jeweiliger Gegeneliten zu fördern. Werden informelle Akteursnetzwerke dagegen, wie in diesem Artikel, als Gefahr für den sozialen und demokratischen Rechtsstaat und als Belastung der allgemeinen Wohlfahrt betrachtet, so ergibt sich die strategische Leitfrage, wie der Macht informeller Akteursnetzwerke, unabhängig von ihrer jeweiligen Trägerschaft, der Boden entzogen werden kann. Ausgangspunkt dafür sind Alternativoptionen zur Netzwerkherrschaft.[25]

 

4.1 Alternativen zur Netzwerkherrschaft

Da Vermachtung auf der Fähigkeit von Akteuren beruht, allgemeine Regeln in ihrem eigenen Interesse willkürlich zu unterlaufen, auszuhöhlen, umzuinterpretieren oder neu zu setzen, besteht die grundsätzliche Alternative hierzu in der wirkungsvollen Trennung von operativer Ebene und Regelebene. Daher zielt die kritische Netzwerkanalyse, anders als die herrschende Netzwerkanalyse und weitere Analyseansätze, die normativ auf wachsende Vernetzung orientiert sind, vor allem darauf ab, einander zugeordnete Entscheidungsebenen zu differenzieren und institutionell getrennt zu halten. Dieser Ansatz ist auf den Schutz legitimer Rechte der Allgemeinheit gegenüber mächtigen Minderheiten gerichtet.  Besonders geschützt werden sollen damit die Rechte von Individuen und Gruppen, die nicht in Akteursnetzwerken organisiert sind, keine Regelmacht besitzen, aber regelgebundene Leistung für die Allgemeinheit erbringen. Zentral im Sinne dieses Alternativansatzes sind allgemeine Verfahren auf der Grundlage anerkannter Verfahrensnormen und Entscheidungskriterien sowie allgemeine Leistungskriterien. Zu deren Fundierung und Sicherung gehören generelle Normen der Rechtsgeltung und Sanktionsfähigkeit, Unvereinbarkeits- und Anti-Korruptionsnormen, öffentliche Transparenz sowie Ansätze direkter Demokratie. Ergänzend wirken ökonomische Grundlagen der Verfahrensautonomie und soziale Fairnessnormen.

 

a) Allgemeine Verfahren 

Verfahren sind Regelprozesse, mit denen komplexe Koordinationsaufgaben, insbesondere bei Interessen- und Wertgegensätzen, entscheidungsoffen, aber von allen Beteiligten anerkannt und daher verbindlich bearbeitet werden.[26] Grundlegend für solche Regelprozesse sind vorab festgelegte Verfahrensschritte und Entscheidungskriterien in einer kontextoffenen Wenn-dann-Formulierung. Beispielsweise setzt der Urteilsspruch in einem Strafverfahren über Schuldverteilung und Strafmaß, unabhängig vom konkreten Gegenstand und den Beteiligten, zwingend die Plädoyers von Staatsanwaltschaft und Verteidigung voraus, die ihrerseits wiederum auf den Ergebnissen der Zeugenvernehmung und anderen Verfahrensschritte beruhen. Der Verfahrens-Begriff bezeichnet aber keine rituelle Folge von Handlungen, sondern lediglich einen institutionell strukturierten Prozess. Dessen konkreter Verlauf und Ergebnis stehen nicht von vorne herein fest, Ausdruck fairer Verfahrensbedingungen, unter denen alle Beteiligte ihre Chance haben, und zentrale Voraussetzung der Bereitschaft aller Beteiligten, sich bis zum Verfahrensabschluss rollengemäß zu beteiligen und das zustandekommende Ergebnis zu akzeptieren, auch wenn es nicht ihren Wunschvorstellungen entspricht (Teilnehmerbindung).

Grundzüge des Verfahrenskonzepts charakterisieren Koordinationsprozesse mit unterschiedlichen Gegenstandstypen und Entscheidungskriterien. Hierzu gehören normanwendende Verfahren, beispielsweise Gerichtsverfahren (Entscheidungskriterien Rechts- und Schuldbeschluss) oder wissenschaftliche Bewertungsverfahren (Entscheidungskriterium wissenschaftliche Qualität), normbildende Verfahren, beispielsweise die Gesetzgebung (Entscheidungskriterium Parlamentsmehrheit), politische Wahlverfahren (Entscheidungskriterium Wählermehrheit) und ökonomische Marktverfahren (Entscheidungskriterium Gewinn).[27] Dem Verfahrenskonzept entspricht schließlich auch der Institutionentypus Spiel, der durch besondere Reinheit und Übersteigerung bestimmter Verfahrenskomponenten einen anregenden Idealtypus für Verfahrensanalysen bildet. Im Mittelpunkt steht dabei die Doppelstruktur aus Spielregeln und Spiel (Morlok 1999): Die Spielregeln werden durch die Spielenden gemeinschaftlich anerkannt oder festgelegt, woraus gemeinschaftliche Teilnehmerbindung folgt. Im Spiel dagegen stehen die Beteiligten einander in freien Konstellationen, dabei gerade auch in Konkurrenz, ja Nullsummenbeziehungen, gegenüber. Die Freiheit, individuelle Bedürfnisse auch auf Kosten Anderer auszuleben, wird also im Spiel durch den gemeinschaftlichen Beschluss der Spielenden, sich strikt an die Spielregeln zu halten, gesichert.[28]

Verfahren sind zwar für alle Beteiligte verbindlich. Die Weite des Beteiligtenkreises und damit die Allgemeinheit von Verfahren kann aber variieren. So werden Parlamentswahlen üblicherweise erst auf der Grundlage des allgemeinen aktiven und passiven Wahlrechts für alle erwachsenen Staatsbürger (Männer und Frauen) als allgemein bezeichnet. Allgemeine Verfahren in diesem Sinne, an denen sich jeder Interessierte unabhängig von speziellen Akteursressourcen beteiligen kann, realisieren den verfahrenstypischen Normgehalt der Sozialität und Fairness besonders vollständig, weil durch sie kein Interessierter ausgeschlossen wird.

Die Logik allgemeiner Verfahren unterscheidet sich grundsätzlich von der skizzierten Netzwerklogik:

¨     Während Netzwerke nur Akteuren mit Verhandlungspotenzialen (Bargaining Power) offen stehen, also Privilegierung ausdrücken und fördern, sind allgemeine Verfahren allen Interessenten zugänglich. Diskriminierung wird damit grundsätzlich ausgeschlossen, ein fundamentaler Beitrag zu gesellschaftlicher Gerechtigkeit.

¨     Während Netzwerkentscheidungen durch strikte Präferenz zugunsten der Netzwerkmitglieder vorprogrammiert sind, zeichnen sich Verfahren durch ihre Ergebnisoffenheit aus. Die Komplexität des Regelungstypus Verfahren ist also vergleichsweise groß, Verfahrensanforderungen sind im allgemeinen schwieriger zu bewältigen also einfache Beziehungsentscheidungen nach dem Kriterium Netzwerk oder Nichtnetzwerk. Andererseits können Verfahren Koordinationsleistungen auch in Fällen erbringen, in denen Netzwerke versagen, so wenn keine gemeinschaftlichen, sondern lediglich gesellschaftliche Beziehungen zwischen den Beteiligten bestehen.[29]

¨     Während interne Netzwerkentscheidungen im Tausch vorhandener Ressourcen getroffen werden, was wiederum Anstrengungen fördern, solche Ressourcen, darunter Regelmacht, zu steigern, zählt in Verfahren primär die regelgebundene Leistung. Dies gilt selbst für Normbildungsprozesse, in denen Interessen an bestimmter Normbildung nach bestimmten Rahmenregelungen, also regelgebunden, verfolgt werden. Netzwerke motivieren damit primär dazu, tauschwerte Ressourcen zu erwerben und zu sichern, Verfahren motivieren primär zu regelgebundener Leistung.

¨     Während idealtypische Netzwerke Machtpotenziale ihrer Mitglieder in der Gesellschaft stützen und verstärken, wird Akteursmacht in allgemeinen Verfahren, die nach allgemein akzeptierten Verfahrensschritten und Entscheidungsregeln stattfinden, außer Kraft gesetzt, zumindest aber begrenzt.

¨     Vermittelt über ihre - auch symbolisch ausgedrückten - Funktionen der Verfahrensgerechtigkeit, Leistungsmotivation und vitalen Demokratie stärken Verfahren allgemeine Toleranz und allgemeines Vertrauen in staatlich-soziale Institutionen.[30] Anders als idealtypische Netzwerke, die eine gemeinschaftliche Kapazität darstellen können, aber die Gesamtgesellschaft häufig ausbeuten, bilden allgemeine Verfahren damit eine soziale Kapazität.

 

b) Allgemeine Leistungskriterien

Die Trennung von operativer Ebene und Regelebene wird durch vorgegebene allgemeine Leistungskriterien erleichtert. Ein idealtypisches Beispiel hierfür stellen universell gültige Leistungskriterien im Bereich des Sports, so des Tennissports, dar. Die Entscheidung über Sieg und Niederlage wird hier über die Aggregation einzelner Leistungsbewertungen nach allgemein anerkannten Leistungskriterien getroffen, ein Bewertungs- und Entscheidungssystem, das in seiner Klarheit und Stimmigkeit idealtypischen Charakter hat.[31] Derartig stimmige Systeme von Leistungsbewertung und Erfolgsentscheidung erleichtern das Verfahrensverständnis aller unmittelbar und mittelbar Beteiligter sowie die praktische Handhabung von Verfahren durch die unmittelbar Beteiligten; damit wiederum tragen sie zur Regelakzeptanz, Teilnehmerbindung und Vermittelbarkeit des Verfahrens bei. Allgemeine Systeme der Leistungsbewertung können allerdings auch eigenständig wirken, ohne zwingend mit Entscheidungsverfahren verkoppelt zu sein. So ist der leistungsorientierte Vergleich ohne zwingende Entscheidungsfolgen (Benchmarking) zu einem wichtigen Stimulans leistungsorientierter Verwaltungsreform geworden (Bandemer 1998).

 

c) Unvereinbarkeits- und Antikorruptionsnormen

Allgemeine Verfahren und Leistungskriterien können und sollten durch Normen geschützt werden, die sich gezielt gegen eine willkürliche Beherrschung von Regelprozessen durch Regeladressaten richten. Hierzu zählen vor allem Unvereinbarkeitsnormen, die die gleichzeitige Funktion von Personen oder Organisationen in aufeinander bezogenen Operations- und Regelprozessen als unvereinbar ausschließen. Ein Beispiel hierfür sind Gebote der Gewaltenteilung zwischen der staatlichen Judikative, einem Bereich mit hoher, unter Umständen verfassungsrechtlicher Kontroll- und Regelkompetenz, und Bereichen, die der Judikative unterliegen.[32] Dieses Unvereinbarkeitskonzept wird vor allem mit Normen des personenbezogenen Ausschlusses der Ämterhäufung administriert. Ein anderes Unvereinbarkeitskonzept ist darauf gerichtet, Zusammenschlüsse operativer Einheiten zu unterbinden, durch die Systemregeln unterlaufen werden könnten. Ein Beispiel hierfür sind Verbote marktgefährdender Kartelle. Hierbei soll das Funktionieren des übergreifenden Regelprinzips Wettbewerb durch Verbote von Unternehmensverbindungen geschützt werden, die eben dieses Regelprinzip aushebeln und damit illegitime Regelmacht gewinnen könnten. Im Mittelpunkt stehen dabei  organisationsbezogene Unvereinbarkeitsgebote.[33]

Am unmittelbarsten gegen Korruption gerichtet sind Antikorruptionsnormen, die unrechtsförmige Kaufbeziehungen zwischen Akteuren der operativen Ebene und der darauf bezogenen Regelebene explizit verbieten und den Bruch solcher Verbote mit Sanktionen belegen. Hierbei werden im deutschen Strafgesetzbuch Vorteilsannahme (§ 331), Bestechlichkeit (§332), Vorteilsgewährung (§333) und Bestechung (§334) differenziert, wobei Vorteilsannahme und Vorteilsgewährung vergleichsweise geringfügig, Bestechlichkeit und Bestechung deutlich schärfer sanktioniert werden (Fätkinhäuer 1995). Schon die Existenz solcher Antikorruptionsnormen signalisiert zwar öffentlich, dass Korruption abzulehnen und zu sanktionieren ist, woraus sich eine sozial-administrative Orientierungsfunktion im Kampf gegen Korruption ergibt. Die praktische Wirksamkeit derartiger Normen steht und fällt allerdings mit ihrer konkreter Ausgestaltung, so der exakten Formulierung von Straftatbeständen und Strafmaß. Diesbezüglich werden in zahlreichen Ländern, so auch der Bundesrepublik Deutschland, noch gravierende Defizite als gegeben gesehen, so die Ungleichbehandlungen von aktiver und passiver Korruption, die Strafvoraussetzung einer auf beiden Seiten willentlichen unrechtsförmigen Handelns und die Strafvoraussetzung einer relevanten Einkommenserhöhung des Bestochenen (Zachert 1995). Der 1994 erst nach jahrzehntelangen Forderungen in das deutsche Strafgesetzbuch eingefügte Artikel 108e zur Abgeordnetenbestechung hat nach herrschender Meinung wissenschaftlicher Kommentatoren lediglich symbolischen Charakter (Becker 1998; Fätkinhäuer 1995: 77). Und zur Bekämpfung inter- respektive transnationaler Korruption liegt abgesehen von Empfehlungen der OECD kein nennenswerter Normbestand vor (Pieth 1995). Im Gegenteil, Bestechungsgelder sind in zahlreichen Ländern, darunter Deutschland, immer noch steuerlich abzugsfähig, eine Regelung, die vom Bundesverband der Deutschen Industrie sogar offensiv vertreten wird (Willemsen 1995).

 

d) Ökonomische Sicherung von Regelkompetenz

Die Grundüberlegung eines weiteren, ergänzenden Sicherungsansatzes von Regelautonomie ist einleuchtend: Regelungsakteure sollen nicht nur institutionell, sondern auch ökonomisch gesichert sein, so dass die Gefahr ihrer Korruption sinkt. Aufgrund dieser Überlegung staatlich garantierte, hoch dotierte Lebensstellen für staatliche Regelakteure zu fordern, erscheint naheliegend, aber keineswegs logisch zwingend. In einer auf Einkommensmaximierung gerichteten Welt existieren nämlich keine absoluten Deckungsgrenzen des Gutes Einkommen. Angebotenes Zusatzeinkommen, das das offizielle Einkommen möglicherweise bei weitem übersteigt, ist unter diesen Bedingungen nach wie vor hoch attraktiv. Ja die durch das garantierte Einkommen geweckten materiellen Bedürfnisse können das Streben nach einem wie auch immer entstehenden Zusatzeinkommen leicht noch weiter vergrößern. Dies gilt insbesondere, wenn Einkommen nicht leistungsresponsiv garantiert wird, wie im Fall üblicher Beamtengehälter und Pensionszahlungen. Ökonomisch privilegierte Regelakteure werden unter diesen Bedingungen nämlich dazu tendieren, ihr Grundgehalt mit minimalem Leistungsaufwand zu sichern und ihre Hauptenergie darauf zu richten, möglichst hohes Zusatzeinkommen zu erzielen. Damit aber sind Regelakteure mit sicherem, leistungsunabhängigem Gehalt für illegitime Außeneinflüsse und Korruption sogar in besonders hohem Maße anfällig. Eine Alternative zu informeller Netzwerkherrschaft bilden also nur ausreichend hohe, aber strikt leistungsresponsiv bemessene Einkommen von Regelakteuren.

 

e)  Transparenz, Öffentlichkeit und Privatsphäre

Im Unterschied zu Netzwerkaktivitäten im Verborgenen lassen sich öffentlich einsehbare, transparente Vorgänge vergleichsweise leicht durch die Öffentlichkeit kontrollieren. Deshalb sind transparente Strukturen und Prozesse grundsätzlich weit weniger durch Vermachtung und Korruption gefährdet als undurchsichtige Regelungsprozesse.[34] Sie bilden daher ein Alternativelement zur Herrschaft informeller Netzwerke.

Transparenz ist allerdings nicht gleichbedeutend mit jeder Form von Öffentlichkeit. So können Verlautbarungsöffentlichkeit, Agitationsöffentlichkeit und öffentliche Inszenierung Vermachtung sogar stärken. Dies zeigen cäsaristische Formen öffentlicher Heroeninszenierung und öffentliche Aufmärsche in Rechts- wie Linksdiktaturen, die massenpsychologisch wirken, aber keine aufgeklärte Öffentlichkeit oder gar sachliche Transparenz schaffen. Aber auch die politische Öffentlichkeit in repräsentativ-parlamentarischen Demokratien steht keineswegs immer für Transparenz. So suchten in der CDU-Spendenaffaire seit dem Spätherbst 1999 angegriffene Spitzenpolitiker geradezu die Medienöffentlichkeit, um sich gegenüber dem öffentlichen Publikum durch Ehrenworte und das Bekenntnis Fehler gemacht zu haben, von diskreditierenden Vorwürfen zu entlasten. Genau dadurch aber festigten sie ihr Widerstandspotenzial gegen die Offenlegung entscheidender Abläufe, Personen und Verantwortungsstrukturen der Spendenproblematik.[35] Nicht jede Form von Öffentlichkeit, sondern sachliche Transparenz bildet also eine Alternative zu informeller Netzwerkmacht. Dies spricht dafür, nicht nur die Ergebnisse, sondern auch die Prozesse der politischen Regelsetzung für die Öffentlichkeit generell einsehbar zu handhaben.  

Die anzustrebende Transparenz von Regelprozessen ist allerdings nicht gleichzusetzen mit einem Bild von Gesellschaft, in der jeder Vorgang kontrollierbar und überprüfbar wird. Im Gegenteil, eine transparente Gesellschaft ohne gesicherte Privatsphäre würde Vermachtung voraussichtlich eher verstärken als schwächen. Nur zu oft äußert und reproduziert sich Vermachtung nämlich auch darin, dass Herrschaftsinstanzen willkürlich Abläufe auf der operativen Ebene bestimmen und einsehen können. Dies reicht in totalitären Diktaturen soweit, dass eine abgeschottete und damit vor unliebsamer Kontrolle bestens geschützte Herrschaftsclique durch Spitzeltum und andere Mechanismen die Gesellschaft bis ins Detail durchleuchtet und zu kontrollieren sucht - eine fatale Umkehrung des Transparenzgebotes von öffentlichem Handeln und Regelsetzung in ein Prinzip der allgemeinen Bespitzelung. Fatal nicht nur, weil privates Leben verunsichert wird, sondern auch weil soziale, ökonomische und politisch-rechtliche Verfahren ihre Basis der Unverletzlichkeit und informationellen Autonomie der Beteiligten verlieren.

Regeltransparenz, intakte Öffentlichkeit und geschützte Privatsphäre bilden also nur im Zusammenhang eine Alternative zu Vermachtung und Korruption.

 

f) Direkte Demokratie

Insbesondere in der Parteienstaatsdikussion werden Ansätze der direkten Demokratie als fundamentale Alternative zu Vermachtung und Korruption behandelt. Das Kürzel Direkte Demokratie steht dabei für eine institutionalisierte Entscheidungskultur, in der die Allgemeinheit (das Volk) durch Abstimmungen politische Sachentscheidungen trifft, überprüft oder in Gang setzt (Heußner/Jung (Hrsg.)1999). Daneben verstehen einige Autoren auch direkte Wahlverfahren politischer Repräsentanten, so Direktwahlen von Exekutivspitzen wie Bürgermeister, Landräte, Ministerpräsidenten oder Staatspräsidenten und direkte Auswahlmöglichkeiten von Parlamentsbewerbern/innen, etwa durch die Wahlverfahren des Kumulierens und Panaschierens, als Formen direkter Demokratie im weiteren Sinn (Arnim 2000: 204).

Da in direktdemokratischen Verfahren die Entscheidung beziehungsweise die Initiative zu einer Entscheidung darüber, wie in einer öffentlichen Angelegenheit vorgegangen werden soll,  bei der Allgemeinheit selbst liegt, verlieren dadurch formelle Volksrepräsentanten, aber auch informell agierende Netzwerke mächtiger Akteure an Gewicht. Mechanismen der direkten Demokratie können zumindest fallweise eine Kontrolle parlamentarischer und administrativer Instanzen ermöglichen (Borchert 2000; Zach 2000). Da deren Entscheidungen häufig durch informelle Netzwerke beeinflusst sind, bedeutet dies gleichzeitig eine mittelbare Kontrollkapazität der Allgemeinheit über die Produkte informeller Netzwerke. Schließlich gewinnt die Allgemeinheit das im Parteienstaat verschiedentlich verloren gegangene Recht zurück, Einfluss auf die Auswahl politischen Personals zu nehmen, so dass die politische Klasse nun nicht mehr ohne weiteres nach ihrer internen Netzwerklogik über politische Karrieren entscheiden kann.[36]

Die im Begriff des Volkes oder der Allgemeinheit vielfach mitschwingende Vorstellung einer Identität von Adressaten und Produzenten öffentlicher Willensbildung löst allerdings das grundsätzliche Beziehungsproblem zwischen operativer Ebene und Regelebene nicht auf. Auch und gerade Formen der direkten Demokratie können nämlich nur dann ihrem Sinn entsprechend funktionieren, wenn sie auf klar ausgewiesenen und strukturierten Verfahren beruhen. Diese direkt demokratischen Verfahren wiederum müssen in allgemeiner, nicht auf einen einzelnen Fall zugeschnittener, Form bestimmt sein, um die Grundlage für entsprechende Abstimmungen bilden zu können. Fehlen solche allgemeinen Verfahren direktdemokratischer Willensbildung oder werden sie ad hoc gesetzt, um dann im selben Zuge und gleichsinnig angewandt zu werden, so sind schwere Missbräuche nicht ausgeschlossen - eine Gefahr, die auch durch die Analyse der Angst der Regierenden vor dem Volk und  durch Hinweise auf die unproblematische Rolle direktdemokratischer Willensbildung in der deutschen Geschichte nicht ausgeräumt wird (Arnim 2000; Majer 2000, Schiffers 2000).

Cäsaristische Putschpotenziale mittels direktdemokratischer Scheinregelungen sind allerdings nur außerhalb etablierter parlamentarisch-repräsentativer Demokratien ein mögliches Problem. Innerhalb solcher Demokratien besteht dieses dagegen in strukturellen Demokratiedefizite, die netzwerkgestützte Vermachtung und Korruption erleichtern. Um dieses Problem zu beheben, können verfahrensgestützte Formen direkter Demokratie gerade in Wechselwirkung mit repräsentativen Demokratiemechanismen einen wichtigen Beitrag leisten.

 

g) Soziale Fairness-Normen

Gegen die willkürliche Beherrschung von Regelprozessen gerichtet sind schließlich nicht nur formell-rechtliche Normen, sondern auch - üblicherweise informelle - soziale Normen. Ein in vielen Alltagsbereichen vertrauter Normtyp dieser Art sind Fairnessnormen. Als solche werden nicht nur selbstbindende Wertorientierungen im Sinne einer für alle Beteiligten akzeptablen Güterverteilung verstanden (Elster 1989, 1991), sondern auch wertgestützte Selbstbindungen an legitim erscheinende Regelmuster. Beispielhaft hierfür sind sportliche Fairness-Normen. Demnach verhält sich fair, wer die geltenden Spielregeln nicht nur dem Buchstaben, sondern dem leitenden Gedanken nach respektiert und mit Leben erfüllt. Ein fairer Spieler weiß im Falle eines Falles auch ohne vorgeschriebene Spielregeln sich entsprechend Prinzipien eines für alle Beteiligten chancengleichen ergebnisoffenen Verfahrens zu verhalten. Er/Sie tut dies im Bewusstsein für den Sinn und den allgemeinen Nutzen solcher Verfahren, wobei er gegebenenfalls persönliche situative Nachteile hinnimmt.

Ähnliche Wirkungen wie soziale Fairnessnormen können auch verbreitete Gewohnheiten, etwa Unternehmensstile regelgebundener Konkurrenz oder regelachtende Lebensstile, sowie Reflexionsmuster ausüben, die darauf hinauslaufen, Fairnessanforderungen gedanklich zu fundieren und Vermachtung argumentativ abzulehnen. Solche informellen Norm- und Lebensstilmuster verringern die Gefahr von willkürlichem Regelbruch und Vermachtung, da sie sozialen Druck gegen Vermachtungsversuche ausüben. Dieses wiederum schafft oder vergrößert Vertrauen in allgemeine Verfahren sowie Vertrauen von Verfahrensteilnehmern untereinander, ein typisches Charakteristikum sozialer Kapazität (Putnam 1993; Fukujama 1999).

 

4.2 Realisierungschancen und Realisierungswege

Dass sich die skizzierten Alternativelemente zu Vermachtung und Korruption nicht ohne weiteres realisieren lassen, ergibt sich bereits aus dem Gegenstichwort der Vermachtung: Akteursnetze, die Regelprozesse infiltrieren und in ihrem Interesse dominieren, wissen sich auch mit großer Durchsetzungskraft gegen Anstrengungen zu wehren, die auf netzwerkbedrohliche strukturelle Veränderungen gerichtet sind. Vor allem aber haben sich Formen von Netzwerkherrschaft, so die vernetzte Macht der Parteien im Parteienstaat, in vielen Ländern derart umfassend und tief verankert, dass ihre schädlichen Folgen fatalistisch hingenommen oder überhaupt nicht mehr als solche identifiziert werden. So wird die Vergabe staatlicher Ämter, ja selbst außerstaatlicher Stellen nach Parteizugehörigkeit in Deutschland nicht mehr als prekär betrachtet, obwohl eine Parteizugehörigkeit von Staatsbeamten nach den im Grundgesetz festgeschriebenen Grundsätzen des Berufsbeamtentums nicht legitim erscheint und dementsprechend auch kein institutioneller Mechanismus zum Parteienausgleich im öffentlichen Dienst, etwa durch Wahlen, vorgesehen ist. Hinzu kommen objektive Probleme, Alternativen zur Netzwerkherrschaft zu realisieren. So setzt die Konstruktion allgemeiner Leistungskriterien die Fähigkeit aller Beteiligten voraus, sich auf gemeinsam akzeptierte Qualitätsziele und daraus abgeleitete Operationalisierungen zu einigen, eine Anforderung, die im Zeichen von Vereinzelung und netzwerkbeherrschter Vermachtung nur schwer erfüllt werden kann.

Angesichts dessen Alternativen zur Netzwerkherrschaft generell als unrealisierbar zu betrachten, erscheint aber aus mehreren Gründen vorschnell:

·     Die skizzierten strukturellen Wirkungen informeller Netzwerkherrschaft, mangelnde Motivation zu regelgebundener Leistung, Mobilitäts- und Innovationsblockaden und Politikverdrossenheit, bilden einen dauerhaften Fonds von Unzufriedenheit, aus dem jederzeit eine gegenläufige Bewegung entstehen kann,

·     Trotz aller Universalisierung archaischer Netzwerkmuster bilden institutionelle Errungenschaften der modernen Gesellschaft, insbesondere die Ausbildung autonomer Verfahren, einen strukturellen Orientierungspunkt für soziale und politisch-rechtliche Alternativen zu einer durchgehenden Vermachtung.

·     Insbesondere der Verfahrenstypus der allgemeinen, gleichen, freien Wahlen eröffnet Möglichkeiten für Innovationsanstöße gegen Vermachtungsstrukturen. So konnten in der Bundesrepublik Deutschland verschiedentlich im Vorfeld von Wahlen institutionelle Reformen in Richtung direkter Demokratie auf Länder- und Gemeindeebene angestoßen werden (Arnim 2000: 258-267).

·     Krasse Vermachtungs- und Korruptionsformen führen immer wieder zu akuten Leistungskrisen. Werden diese öffentlich skandaliert, so kann dies kritische Wahrnehmungsprozesse von Netzwerkstrukturen in Gang setzen.

Entscheidende Hürde für die Problemperzeption der dunklen Netzwerkseite bildet allerdings die Entstehung eines instruktiven Gesamtbildes der Problematik. Einzelne, ab und an auftauchende Skandalfälle informeller Netzwerkherrschaft reichen als Grundlage hierfür nicht aus. Der für Skandale typische ausschließliche Bezug  auf den jeweiligen Einzelfall kann das Nachdenken über Netzwerkstrukturen und Folgeschäden sogar behindern. Zusammenhängende Muster von Problem- und Kapazitätswahrnehmung müssen vielmehr auch als solche entwickelt und verdeutlicht werden. Im Zuge sind dabei die Sozialwissenschaften, insbesondere die Politikwissenschaft. Nur wenn hier ein grundlegender Paradigmenwechsel von der Perspektive der informellen Vernetzung zur Perspektive machtzügelnder Verfahrensysteme zustande kommt, wird ein verfahrensorientierter Reformprozess eine analytische Basis erhalten können.

Im Mittelpunkt eine solchen Paradigmenwechsels sollte die Rezeption von Verfahrenswerten stehen: Gegenüber relativ einfach strukturierten institutionellen Mustern wie Solidarität, staatlicher Hierarchie und Netzwerken, die zumindest in Kontinentaleuropa als fest verankert gelten können, ist das weit komplexere institutionelle Muster des Verfahrens bisher in deutlich geringerem Maße ethisch fundiert und soziopolitisch verankert: Insbesondere offener Wettbewerb und Markt, verschiedentlich aber auch Öffentlichkeit und Wahlverfahren, gelten immer noch verbreitet als unsozial, das heißt unsolidarisch, wohlstandsfeindlich, ja verschiedentlich sogar als irrational. Angesichts dessen erscheint eine politisch-ethische Diskussion von Verfahrensinstitutionen und Verfahrenswerten überfällig zu sein: Erst in dem Maße, indem offene Verfahren, so Wettbewerb, Öffentlichkeit und allgemeine Wahlen, zu einem reflektierten und emotional breit verankerten öffentlichen Gut werden, kann die unendlich erscheinende Geschichte der Macht informaler Netzwerke eine Lösung finden. Die wissenschaftliche Politikanalyse könnte und sollte durch kritische Netzwerkanalyse ihren Teil zum Durchbruch von Verfahrensinstitutionen und Verfahrenswerten beitragen.

 

Autor:

Prof. Dr. Volker von Prittwitz

Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft/Freie Universität Berlin

vvp@zedat.fu-berlin.de

Homepage: www.volkervonprittwitz.de

 

 

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[1] Die verbreitete Differenzierung zwischen biologisch-neuronalen, elektronischen und sozialen Netzwerken (siehe zum Beispiel Online Katalog der Freien Universität Berlin/http://opac. fu-berlin.de, Stichwort Netzwerke) wird hiermit durch die Beschränkung auf soziale Netzwerke aufgegriffen. Dies heißt allerdings nicht, soziale Netzwerke ließen sich durchweg klar von elektronischen Netzwerken unterscheiden. Denn auch diese werden ja im sozialen Raum betrieben. Und selbst für die Analyse biologischer Netzwerke können Aussagen nach einem sozialen Netzwerkmodell anregend sein. 

[2] Unter Idealtypus wird hierbei im Anschluss an den Weberschen Begriff eine die Forschung anregende Strukturvorstellung (Idee) verstanden, die durch einseitige Steigerung eines oder einiger Gesichtspunkte und durch Zusammenschluss von Einzelfeststellungen gebildet worden ist (Weber 1904/1995: 70ff)

[3] Akteursinteressen können in vielen Kontexten, beispielsweise dem Gesundheits-oder Umweltbereich, auch als Helferinteressen analysiert werden. Dabei geht es dem jeweiligen Helfer darum, seine Position als Helfer zu erhalten und auzubauen (Prittwitz 1990: 116/117, 1994: 28).

[4] Einen Literaturüberblick gibt Morlok 1999 mit den Schwerpunkten der Neuen Politischen Ökonomie und der Staatsrechtslehre

[5] Wie von Alemann/Kleinfeld (1992) im Überblick darstellen, wird der Begriff der Korruption ubiquitär und recht diffus verwendet. Liebl (1992) listet phänomenologisch eine Reihe von Unterformen auf, so die Gewinnmaximierungskorruption (Überhöhte Rechnungsstellung, Ausschaltung der Kontrolleure durch Korruption), Verdrängungskorruption (Ausschaltung konkurrierender Mitbewerber), die Finanzierungskorruption (Verwaltungskorruption bezüglich öffentlich-rechtlicher Kreditinstitute), die Auflagenkorruption (Umgehung von Umweltauflagen), die Grenzkontrollkorruption (Ausschaltung staatlicher Überwachung im grenzüberschreitenden Verkehr), die Leistungskorruption (Wie Verdrängungskorruption, aber ohne höheren Preis), die Genehmigungskorruption (Kauf von Genehmigungen außerhalb des Bau- und Umweltbereichs) und die Aufenthaltskorruption (Erlangen von Aufenthaltserlaubnissen und ähnlichem).

[6] Demzufolge zeigt die Tatsache, dass klientelistische Strukturen auch in modern geltenden Gesellschaften ihren festen Platz haben, nicht an, dass solche Strukturen per se auch modernen Charakter hätten und funktional im Sinne einer sozialen Leistungsgesellschaft wären, wie dies in Teilen der Diskussion über Klientilismus angenommen wird (siehe zum Beispiel Roniger 1994).

[7] Martin Jänicke (1986) sieht als Kernakteure solcher Netzwerke die jeweils sektorspezifische Industrie und die staatliche Bürokratie, die öffentliches Handeln in diesen Sektoren zu initiieren und zu verwalten hat. Folgerichtig verwendet er auch die Bezeichnung bürokratisch-industrielle Komplexe. Beteiligt sind allerdings oft auch Politiker, Experten, Journalisten und andere Akteursgruppen, so Produzenten- und  Konsumentengruppen jeweiliger Sektoren, die Netzwerkaktivitäten öffentlich und/oder finanziell unterstützen, so dass die Bezeichnung sektorale Netzwerke angemessener erscheint.

[8] Siehe zum Gesundheitsbereich  http://www.medical-tribune.de/070politik/bka.html,(08.06.2001), zum Baubereich http://www.payer.de/kommkulturen/kultur084.htm (08.06.2001).

[9] Beispielsweise ist argentinisches Rindfleisch bei seiner Einfuhr in die EU grundsätzlich mit 12,8% seines Einfuhrwertes und einem nach Fleischklassen variierenden Zuschlag zu verzollen. Dieser beträgt bis zu 304,1 Euro pro 100 Kilogramm. Siehe dazu http://europa.eu.int/comm/taxation-customs/ (13.06.2001).

[10] Siehe http://www.europa.eu.int/pol/agr/index_de.htm  (10.05.201)  Die Politikbereiche der Europäischen Union - Agrarpolitik.

[11] Die Bovine spongiforme Enzephalopathie (BSE) ist erstmals 1985 in Großbritannien beobachtet worden [85,86]. In der Folge hat man in wesentlich geringerer Zahl auch Fälle in weiteren europäischen Ländern registriert. Die Übertragbarkeit ist 1988 erstmals nachgewiesen worden [29]. Die wahrscheinlichste Ursache für das Auftreten von BSE ist eine in den Jahren 1981  und 1982 beginnende Fütterung der Kühe mit von Wiederkäuern stammenden Proteinen, kombiniert mit einer Umstellung der Herstellungsverfahren für Tierkörpermehl [84,86,87,88]. Das BSE-Agens hat im Unterschied zum Scrapie-Agens Stammcharakteristika, die seit den ersten Fällen konstant geblieben sind [12,30,80,91]. Rinder aller Rassen können nach einer Inkubationszeit von 18 Monaten bis mehreren Jahren [90] ab einem Alter von 22 Monaten an BSE erkranken [89]. Die häufigsten Anfangssymptome treten unabhängig vom Laktationsstadium auf; sie sind unspezifisch und umfassen Konditions- und Gewichtsverlust, verminderte Milchleistung, Verhaltens- und Bewegungsstörungen. Bis dahin unauffällige Tiere fangen plötzlich an, heftig zu schlagen, weigern sich, den Melkstand zu betreten oder durch Türöffnungen zu gehen, sondern sich auf der Weide von der Herde ab, sind ängstlich und zeigen Hyperästhesie oder  Muskelzittern. Die ersten Bewegungsstörungen äußern sich oft in Form einer leichten Nachhandataxie oder in darauf zurückzuführender Mühe beim Aufstehen und sogar in Festliegen. Nach einem progressiven Krankheitsverlauf von 40 bis 60 Tagen verenden die Tiere oder müssen getötet werden [18,46,85,86,89] (Schicker 1998).

[12] Chronik der BSE-Krise, http://userpage.fu-berlin.de/~dittbern/BSE.html (15.05.2001).

[13] Chronik der BSE-Krise, http://userpage.fu-berlin.de/~dittbern/BSE.html (15.05.2001).

[14] Dressel 2000, S. 9-13.

[15] Der Spiegel Nr. 3/15.01.2001, S.28,  Frankfurter Allgemeine Zeitung 02.12.2001, S.41-43

[16] Siehe http://www.bseinfopage.de/News/Archiv/kw2001-06.htm (11.06.2001).

[17] Bereits die Vorläufer der heutigen Universitäten, kirchlich geprägte Klosterschulen, vertraten  Autonomieansprüche gegenüber weltlichen Instanzen. Mit dem Aufstieg des Absolutismus gerieten diese Schulen zunehmend unter den Einfluss staatlicher Instanzen. So lag in den deutschen Ländern die Besetzungshoheit der Hochschullehrer in den Händen jeweiliger Landesfürsten, woraus sich ab dem 17. Jahrhundert eine Art Wettbewerb um die Gründung von Landes-Universitäten sowie eine klare Ausrichtung der Hochschullehre an den unmittelbaren Erfordernissen von Staat (Verwaltung, Militär, Justiz) und Ökonomie entwickelte. Trotz der Erneuerungsbewegung der Universitäten im Humboldt´schen Geist seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts, die die Bedeutung von übergreifendem Wissen und Forschung sowie die Wissenschaftsfreiheit proklamierte, bewegt sich die Universität in Europa bis heute im Spannungsfeld zwischen Selbstorganisation und Staat (Dorf 2000).

[18] Neben den offiziellen Verbands-Positionen in diesem Sinne werden in der vom Verband herausgegebenen Monatszeitschrift Forschung & Lehre allerdings auch kontroverse Stellungnahmen von Mitgliedern abgedruckt.

[19] Angesichts dessen erscheint ein systematischer Zusammenhang zwischen der von Paul Kuhn festgestellten Festigkeit wissenschaflticher Paradigmen (Kuhn 1954) und der im akademischen Sektor herrschenden Netzwerkherrschaft als naheliegend.

[20] Zur empirischen Fundierung dieser analytisch gewonnen Aussage fehlen bisher übergreifende systematische Untersuchungen. In einer solchen Untersuchung könnte unter anderem folgenden individuellen Feststellungen nachgegangen werden: 1. Einzelnen akademischen Disziplinen mit Politikbezug werden unter Wissenschaftlern und in der Öffentlichkeit klare parteipolitische Profile zugeschrieben. Die jahrzehntelange Reproduktion solcher Profile dürften sich ohne die Wirkung parteipolitischer Seilschaften nicht vollständig erklären lassen. 2. Die wissenschaftliche Leistungsresponsivität von Habilitationen scheint in der deutschen Politikwissenschaft (Beispiel Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin) gegenüber anderen Kriterien, so parteipolitischen Netzwerkzusammenhängen, an Bedeutung zu verlieren. 3. Besetzungsprozesse jeder Art werden bis heute in der deutschen Politikwissenschaft intransparent durchgeführt.  Auch ein transparenter Markt für befristete Stellen, so Vertretungsprofessuren, fehlt bisher vollkommen. 4. Hochschullehrer, die zeitweise eine leitende Funktion in der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft einnahmen, erreichten danach in einigen Fällen unabhängig von ihrer formellen und informellen Qualifikation vor der Übernahme der Verbandsfunktion rasch Spitzenprofessuren. 5. Während es in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg lediglich üblich war, mächtige Spitzenpolitiker mit dem Doktortitel ehrenhalber (honoris causa) zu beglücken, breitet sich inzwischen der Gebrauch des Professorentitels unter Leitern und Abteilungsleitern von Behörden und Spitzenverbänden aus.

[21] Während parteienstaatliche Strukturen in bestimmten EU-Ländern, so Belgien, Österreich und Deutschland in massiver Weise und in anderen Ländern in recht starkem Maße bestehen, so in Schweden, Dänemark, Griechenland und Italien, zeigen andere EU-Länder, so Finnland, Frankreich, Großbritannien, die Niederlande oder Spanien, eine deutlich geringere staatliche Parteiendominanz (Ismayr (Hrsg.) 1999).

[22] Dabei ergeben sich auffallende Parallelen zwischen der höfisch-feudalen Gesellschaft früherer Jahrhunderte und der heutigen Gesellschaft sektorieller Funktionsnetzwerke und sektorübergreifender  Parteien-Netzwerke. Waren es in der höfischen Gesellschaft die am Königshof Partiziperenden, Kirche, Klein-, vor allem aber Hochadel, die über ökonomische und politische Ressourcen als Privileg verfügten, so bilden nun die Angehörigen der politischen Klasse, zusammen mit den Spitzen bürokratisch-funktionaler Netzwerke, eine privilegierte Machtelite.

[23] Siehe in diesem Sinne Beyme 1993; implizit Schuett-Wetschky 2001, zum Literaturüberblick Rebenstorf 1995.

[24] Siehe hierzu beispielhaft das Verhalten Berliner Spitzenpolitiker im Rahmen parteienstaatlicher Vernetzung von Politik, Wirtschaft und Finanzsektor, das im Sommer 2001 zu einer akuten Finanzkrise der Stadt führte.

[25] Zur Analyse dieses Fragenkomplexes erscheint das Konzept der Netzwerksteuerung als wenig hilfreich. In der unter dieser Bezeichnung geführten Diskussion (Sydow/Windeler (Hrsg.) 2000) geht es nämlich um die Selbststeuerung von Netzwerken im Sinne ihres optimalen Funktionierens, während Netzwerke in kritischer Sicht als prekäre Komplexe behandelt werden, deren Funktionieren im Sinne ihrer Eigenlogik gerade beschränkt oder verhindert werden soll. Mächtige Netzwerke zeichnen sich zudem gerade durch ihre Fähigkeit aus, Steuerungsimpulse zu ihrem eigenen Vorteil zu kehren, wozu Korruption ein gängiges Mittel darstellt.

[26] Eine sinngemäße Zusammenfassung des Luhmann´schen Verfahrensbegriffs (Luhman 1969/1993).Technische Verfahren, bei denen auf bestimmte Art und Weise mit Natur oder Artefakten umgegangen wird, bleiben hier außer Betracht. Dies auch entsprechend der Beschränkung der Diskussion auf soziale und politische Netzwerke.

[27] Auch Verhandlungsprozesse können Verfahrenszüge aufweisen, so geregelte Kommunikationsformen und Formen der Teilnehmerbindung (Prittwitz 1996: 48 ff). Da hierbei die Prozessregeln aber nicht zwingend vorgegeben sind, sondern von den Beteiligten selbst ausgehandelt werden, entsteht die Gefahr eines Kurzschlusses zwischen dem Handel von Verhandlungsregeln und dem eigentlichen substantiellen Handel, die von Scharpf (1992) als Verhandlungsdilemma bezeichnet wird. In keinem Fall stellen Verhandlungen allgemeine Verfahren dar, da an ihnen lediglich Akteure mit Verhandlungsmacht beteiligt sind, nicht aber die Allgemeinheit.

[28] Hinzu kommen weitere typische Eigenschaften des Institutionentypus Spiel, die die Motivation und Bindung der Beteiligten erhöhen, so relative Einfachheit und Klarheit der Spielregeln, die Garantie gleicher Ausgangsbedingungen und gleicher Erfolgschancen sowie die Bildung und Sicherung einer eigenständigen, in sich geschlossenen Spielwelt (Spezieller zum Idealtypus Spiel im Anschluss an den Spieltheoretiker Johann Huizinga siehe Prittwitz 1994: 96-98, zum allgemeinen Konzept der Teilnehmerbindung Prittwitz 1996).

[29] Die Bedeutung von Verfahren wächst damit insbesondere in Phasen, in denen Vergesellschaftungsschübe entstehen, die gewachsene Gemeinschaftsgrenzen durchbrechen. Der gegenwärtige Globalisierungsschub inklusive massiv ansteigender globaler Migrationsströme lässt sich in diesem Sinne mit wachsenden Anforderungen der Verfahrensbildung und Verfahrensdurchsetzung assoziieren.

[30] Zur Bedeutung institutioneller Symbolik in der repräsentativ-parlamentarischen Demokratie siehe Göhler 1997, zur Diskussion symbolischer Politik als offen konnotiertes Analysekonzept Prittwitz 2000.

[31] Kleinste bewertete Leistungseinheit ist dabei , ob ein Spieler den Tennisball, wenn er am Schlag ist, innerhalb des abgegrenzten Spielfeldes plaziert oder nicht. Verfehlt er das Spielfeld oder schlägt er den Ball ins Netz, so zählt dies als eine Wertung für den jeweiligen Gegner. Aus der Aggregation solcher Bewertungen ergibt sich die Wertung nach Spielgewinnen, Satzgewinnen und Matchgewinn.

[32] Siehe Hesselberger 1995, 169 ff; Oberreuter 1996, 215 ff; kritisch Blank/Fangmann/Hammer 1996, 147 f.

[33] In der Diskussion werden allerdings legale und legitime Kartelle von nichtlegalen Kartellen abgegrenzt. Siehe dazu Dönnebrink 1995 oder die kontroverse Diskussion um strategische Allianzen (Götz 1996).

[34] Im Bewusstsein für diesen Zusammenhang veröffentlicht die Organisation Transparency International seit 1995 jährlich einen Corruption Perceptions Index; siehe www.dse.de/zeitschrift/ez1199-3.htm, Nr. 11 vom November 1999 (01.07.2001).

[35] So schreibt Andreas Zielcke am 7. Februar 2000 in der Süddeutschen Zeitung zur Kritik des deutschen Bundestages bei der Aufarbeitung der Spendenaffaire (Titel: Die Stummen des Volkes):  Sagt man von Dunkelmännern, sie scheuen das Licht, so ist es hier umgekehrt: Die Schwarzgeldjongleure suchen das Licht der Öffentlichkeit und scheuen den parlamentarischen Binnenraum ihrer Verantwortung...Im Parlament sprechen die Abgeordneten für ihre Wähler, in den Medien sprechen sie zu ihren Wählern...Dazwischen liegen demokratische Welten; es ist der Unterschied zwischen Repräsentation und Person. Spricht man nicht für, sondern zu seinem Publikum, kann es folgerichtig um so persönliche Dinge gehen wie ein Ehrenwort - im Bundestag wäre die Perversion dieser privaten Ausflucht offensichtlich.

[36] Die insbesondere von Hans Herbert von Arnim (1993, 1997, 2000) immer wieder vorgeschlagenen Option einer die Personalauswahl einschließenden Wahlkompetenz des Volkes auch auf Länder- und Bundesebene würde das deutsche Regierungssystem nicht nur weiter demokratisieren, sondern auch international, etwa in der Europäischen Union leichter harmoniserbar machen. Im internationalen Institutionenvergleich wird nämlich das in Deutschland geltende Wahlrecht unter dem Gesichtspunkt der Listenform zwar üblicherweise als Mischform verortet (Nohlen 2000: 93-95). Die bisher auf Bundesebene geltende Regelung einer starren, ausschließlich von den Parteien bestimmten Wahlliste stellt aber gerade im europäischen Rahmen eine klar minoritäre Regelung dar (Ismayer 1999).